11. März 2024

Plastische Papiergravierung

Eine Kleinkunst von vielseitiger Verwendbarkeit in jeder Familie und von vornehmer Wirkung soll hier beschrieben werden. Leicht erlernbar, ist sie bei Tages- wie bei Lampenlicht eine Quelle der Freude, anregend und bildend und jederzeit nützlich anwendbar. Zu ihrer Anwendung sind keinerlei Vorkenntnisse erforderlich; wer aber eine leichte, zeichnerisch geschickte Hand, sowie etwas Auffassungs- und Darstellungsgabe besitzt, kann sogar eine künstlerische Höhe erreichen.

„Übung macht den Meister!“ Und je öfter und fleißiger die Übung, umso schneller erreicht man das Ziel, besonders, wenn mit gutem Willen und Selbstvertrauen begonnen wird. Jeder Anfänger ist stolz auf die ersten Fortschritte seiner Bemühungen, mögen sie auch zunächst bescheiden sein, und ein Sonnenstrahl der Zufriedenheit spornt begeistern zu immer neuer Übung und Darstellungskraft. Zur Ausübung dieser anregenden, leichten Arbeiten sind die geringsten Mittel erforderlich, so dass nicht nur begüterte gebildete, sondern auch die ärmsten Schichten sich mit ihr jederzeit beschäftigen können. Jede fertige Arbeit erscheint für den Laien wie aufgeklebt, der jedes geschnittene Blättchen und Blütchen eine plastische Wirkung zu eigen hat, hält man aber eine fertige Arbeit gegen eine Beleuchtung, – Sonne oder Lampe -, so erscheint sie transparent, da jedes Licht durch die Schnittrillen dringt und diese erhellt.

Wir setzen uns an den Tisch mit gerade gehaltenem Körper, wie wenn wir einen Brief schreiben wollten. Vor uns liegt eine kleine, etwa 3 mm starke Glasscheibe, rechtwinklig, von 20-30 cm Durchmesser, deren scharfe Ränder der Glaser mit einer Feile abzustumpfen hat, damit keine Handverletzungen vorkommen können. Die Fläche der Scheibe muss glatt – nicht gerillt oder sonst wie umeben sein, da wir auf ihr arbeiten wollen. Als Arbeitsmaterial kommen Visit-, Brief-, Glückwunsch-, Tisch-, Menü-, Einladungs-und Trauerkarten und andere in Betracht, die wir mit Blumenbuketts, Girlanden, Kränzchen, Monogrammen und Namenszügen verzehren wollen, ferner Fotografierahmen, u.a.

Um derartige Papierveredelung darstellen zu können, benötigen wir je 1 Schnitt- und Stichmesser, 1 Stopfnadel,1 weicher Abziehstein und einen Streifchen Leder zum Abziehen der Klingen, sowie eine kleine Laubsägefeile. Die Schnittmesser kann sich jedermann selbst sehr einfach und billig herstellen wie folgt: wir kaufen uns eine Korsettschiene aus festem Stahl, die wir von einem Klempner mit der Blechschere in einige etwa 5mm breite Streifen schneiden lassen, von denen jede eine Länge von ungefähr 11 cm erhält. Dies wären also um die Klingen. Nun feilen wir sie mit der Laubsägefeile an einem Ende ovalspitz, wie es die Abbildung 1a zeigt. Ist dies geschehen, dann schärfen wir die Spitze mit derselben Feile etwa 2 cm entlang der Klinge wie es die Abbildung andeutet. Es braucht also nicht die ganze Klinge wie bei Tischmesstern geschärft zu werden. Wer glaubt, diese Schärfung nicht ausführen zu können, lässt es von einem Messerschmied tun. Die Schneide muss aber ovalförmig wie bei Radier- oder Hühneraugenmessern sein, denn anders geformte Schneiden, etwa gradlinige oder keilfärmige, sind unbrauchbar. Nach der Schärfung ziehen wird die Schneide wie ein Rasiermesser haarscharf ab und wiederholen dies auf einem Stückchen Streichriemen. Eine alte Stiefelsohle kann uns da nützen.

Nun wollen wir die Stechklinge anfertigen. Diese möchte noch etwas schmäler zugeschnitten sein, auch darf die Stechklinge keinerlei Schneide erhalten, sondern ihre Spitze muss spießartig nadelspitz gefeilt und abgezogen werden, wie es die Abbildung 1b darstellt. Während die Schnittklinge hauptsächlich zur Herstellung von Stielen, Blättern und größeren Blüten usw. dient, findet die Stichklinge nur Anwendung bei Staubfäden und zarten Blütchen, Fruchtknoten usw.

Nun wollen wir uns zwei Hefte zu diesen Klängen machen. Wir verwenden dazu nur bleistiftstarke Hölzchen von ungefähr 11,5 cm Länge. Es genügt ein dünnes Haselnuß-, Walnuss-oder Buchenhölzchen, dass wir in jedem Walde finden oder auch bei jedem Holzdrechsler oder Tischler fast umsonst erhalten. Diese beiden Hölzchen spalten wir uns mit dem Sägeblatt der Länge nach, so dass der Spalt eine Länge von 9,5 cm erhält, während das Ende des ungespaltenen Teiles noch 2 cm betragen muss (Abbildung 1c). Man kann auch zwei unbrauchbare Federhalter als Hefte zu diesen Klingen verwenden. Sind Klingen und Hefte fertig, damm schieben wir in den Heftspalt die Schnitt-oder Stechklinge soweit, dass die Klinge nur 2 cm aus dem Heft ragt (Abbildung 1d und e.). Wir brauchen nur noch zu jedem Messerheft zwei Messingringel, wie sie an billigen Federhaltern zu finden sind. Derartige Ringel erhält man in Eisengeschäften. Wer die ganz billigen, ungefärbten Federhalter als Messerhefte verwendet, hat ja schon derartige Ringe daran und erspart sich alles Weitere. Will man diese Federhalter spalten lassen, so muss man natürlich vorher das daran befindliche Messingringel abgestreift werden. Die Halter kann man beliebig kürzen, jedenfalls muss das Vorderteil, indem die Schreibfeder zu sitzen hätte, abgesenkt werden. Nachdem also die Klingen soweit wie oben gesagten in dem Heftspalten stecken, schiebt man einen Ringel vorn an die Heftspitze, genau wie bei Federhaltern, und einen Ringel über das andere Ende des Heftes etwa soweit wie es Abbildung 1d und e zeigen. Da die Klingen unverrückbar fest in den Heften sitzen müssen, ist es nötig, dass die Ringel ihrerseits sehr stramm auf den Heften sitzen. Diese Arbeitsmesserchen kann man auch als Radiermesser, sowie auch im Schneiderberuf als Naht-Trennmesser, sowie auch als Präperations- und Operationsmesser verwenden. Jedenfalls ist die Herstellung so billig, wie sie zugleich in Kosten kein Geschäft der Welt liefern kann. Korsettschienen sind meist aus festem Stahl und somit für diesen Zweck das geeignetes Material. Ich erfand durch Zufall diese ebenso einfache wie billige Verwendungsmöglichkeit und habe sie seit Jahrzehnten im Gebrauch. Hat sich durch mehrmaliges Schärfen die Klinge vorne gekürzt, so streift man nur die Messingringel von den Heften, schiebt die Klingen etwas vor und streift dann die Ringe wieder über die Hefte, worauf die Messer wieder gebrauchsfertig sind. Auf diese Weise kann man die Klinge bis auf kleine Stummelgröße verwenden, was Jahrzehnte pro Klinge möglich ist.

Unwissende nennen die Papiergravierung – Schnitzarbeit! Das ist falsch! Bei Schnitzarbeit fallen Krümchen und Spänchen ab; das ist bei dieser Arbeit nicht der Fall.

Die Haltung des Messers ist dieselbe wie die eines Radiermessers (vergleiche Abbildung zwei). Das ganze Messer liegt schräg in der rechten Handfläche. Das Ende liegt am Handball, wo der kleine Finger angewachsen ist. Der kleine, wie auch der Ringfinger umklammern fest das Messerheft, der Mittelfinger liegt tastend gebogen um das Heft, während die Spitze des Zeigefingers auf dem 2 cm langen Rückenteil der aus dem Heft ragenden Klinge zu liegen kommt. Die Spitze des Daumens liegt fest einhalb Zentimeter vor dem Messingring an der Unterseite des Heftspaltes oder der Schneideseite der Klinge.

Jetzt können wir mit der ersten Übung beginnen. Als Übungsmaterial eignen sich alte Aktendeckel, alte, beschriebene Post-, Brief-, Visit-, Glückwunsch-und andere Karten, alte Schachtelteile usw. Wer jedoch mit dem Pfennig nicht zu rechnen braucht, tut am besten, in einem Papiergeschäft einen Bogen Elfenbeinkarton, Visitkartenstärke, als Übungsmaterial zu kaufen. Ein solcher Bogen ist ungefähr 60 X 48 cm groß und kann daheim mit jeder Schere in beliebig große Stücke zerschnitten werden. Werden stets anfangs nur Striche, gerade, gebogene, gewellte, wie es Abbildung 3 a-c zeigt. Wir legen also ein Stückchen Karton auf die vor uns auf dem Tisch liegende vorhin erwähnte Glasplatte. Die linke Hand drücken wir mit ausgestreckten Fingern auf den Karton, damit er unverschiebbar auf der Glasplatte liegt. Nun setzen wir das Schnittmesser mit der Spitze auf den Karton, drücken sanft auf und ritzen mit einem Strich etwa 5 cm lang ein. Das Messer darf aber niemals senkrecht oder steil auf den Karton ritzend gehalten werden, sondern stets schräg und in der Richtung von oben nach unten ritzen. Der Anfang ist verblüffend leicht. Geht bereits, das Strichritzen gut, dann setzen wir die Spitze des Schnittmesser direkt an einen derartig geritzten Strich und führen einen kurzen Seitenstrich aus, den wir mehrmals in kurzen Abständen wiederholen (Abbildung 3b und e.). Alle Schnitte müssen in solchem Falle von nach unten ausgeführt werden, da man mit einem Messer von unten nach oben keinen Strich ritzen kann. Haben wir eine geritzte Linie einseitig mit Seitenritzen versehen (Abbildung 3b), dann setzen wir die Messerspitze auf der anderen Seite der senkrechten Linie an und verfahren ebenso wie vordem. Abbildung 3c und e zeigt Doppelschnitt. Wir müssen, um einen natürlich aussehenden Zweig herstellen zu wollen, die seitwärtsgeritzten Blättchen nach der Zweigspitze zu allmählich zunehmend kleiner ausführen (Abbildung 3C und E.). Das Muster Abbildung 3b ist mit dem Stichmesser gestochen. Wir stechen einfach die Spitze des Stechmessers  in den Karton, ähnlich so, als wenn wir uns ein Eiterbläschen ausstechen. Ein Stich kommt vor den anderen, bis wir deren 6-7 allmählich kleiner werdenden Körnchen haben. Im weiteren Verlaufverfahren wäre wie bei Abbildung 3 b-e. Die Muster der Abbildung 3 g-l werden gleichfalls mit dem Stichmesser ausgeführt. Ich möchte aber empfehlen, immer nur ein Muster so lange zu üben, bis man es einwandfrei kann, und dann erst mit einem anderen Muster beginnen, denn wer anfangs schneller beginnt, kommt nicht oder viel langsamer vorwärts.

Hat man erst einige Übung im Schneiden ganz einfacher Zierstücke erreicht, so kann man zur Ausführung schwieriger Muster gehen, von denen unsere Abbildung einige wiedergibt. Es ist natürlich nicht möglich, die wahre Schönheit der Papiergravierung durch druckfähige Zeichnung wiederzugeben. Vielmehr können wir hier nur andeuten, wie diese Arbeiten wirken. In Wirklichkeit sind es ungemein zarte Gebilde, wie das Entzücken jedes Blumenfreundes bilden.

In der oberen Reihe sind einige Blütenrispen abgebildet, die eifrig geübt werden müssen. Aus ihnen lassen sich dann prächtige Sträuche zusammenstellen, wie wie flache Gipsreliefs wirken.
Die untere Reihe führt eine Reihe von Rosetten, das heißt Blumen in der Draufsicht, vor. Um diese ausführen zu können, sticht man mit dem Stichmesser erst den Blütenknoten, indem man eine ganze Menge Stiche zu einem runden Häufchen formt. Alsdann nimmt man das Schnittmesser, setzt es mit seiner Spitze an den Blüten- beziehungsweise Fruchtknoten an und führt einen kurzen Schnitt nach unten aus. Die folgenden Schnitte sind um dem Fruchtknoten geordnet, indem bei jedem Schnitt der Karton mit dem Finger etwas gedreht wird, denn auch hier hat stets jeder Schnitt von oben, also vom Fruchtknoten ausgehend nach unten zu erfolgen. Die Rosetten nach Abbildung k ist doppelschnittig gefiedert. Wer alle beschriebenen Muster beherrscht, kann mit Leichtigkeit daraus Buketts zusammenstellen. –
Wie man Kränzchen in vielerlei Art, Herzchen, Girlanden, Gemälde und so weiter schneidet, darüber lässt sich vielleicht später einmal ausführlich berichten.

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